Kultur ist systemrelevant


Die Pandemie COVID-19 führt als Krankheit nicht nur zu weltweitem Leid, sondern verändert auch den gesellschaftlichen Umgang des Miteinanders. Die Pandemie lässt prekäre Verhältnisse, in denen viele Menschen sich befinden, noch deutlicher werden. Sie zeigt die Schwachstellen im sozialstaatlichen System auf. Eine dieser Schwachstellen ist und war: Die Kultur.

Ein Gastbeitrag von Mimi


Das Problem

Ein geschlossener Club (Lux)

Mein Verstand ist rational und versteht die Absagen – es ist wichtig große Menschenansammlungen zu vermeiden, damit das Gesundheitssystem durch zu hohe Infektionszahlen nicht überlastet wird. Das ist mir klar. Aber mir wird das Herz schwer. Und so wird uns der Sommer 2020 in Erinnerung bleiben: mit all den Festivals und Konzerten, auf denen wir nie waren.

Angesicht der Nachrichten fühle ich mich wie ein Kind, das nicht versteht – und nur merkt, dass irgendetwas so gar nicht stimmt.

Eine Freundin sagt, dass es ihr emotional gar nicht so schwer fällt, mit den Absagen der Kulturveranstaltungen umzugehen, weil es für alle gleich entschieden worden ist. Es liegt nicht daran, dass sie sich das Ticket nicht leisten konnte oder kurzfristig aufgrund von Krankheit absagen musste – sondern es wurde für alle potentiellen Besucher und Besucherinnen gleichermaßen abgesagt. Sie versäumt nichts.


Kulturbetrieb in Zeiten von Corona

Doch wie wir mit den Veränderungen durch die weltweite Pandemie umgehen und welche Herausforderungen uns entgegentreten, hängt mit unserer sozialen Position zusammen. Und, insbesondere im Kulturbetrieb, mit unserer Involviertheit.

Mir gelingt dieser positive Umgang nicht. Einerseits übermannt mich die Ohnmacht und ich bin traurig, dass Konzerte, Festivals, Premieren – kurz: das kulturelle Leben – nicht stattfinden. Anderseits sind auch mir zwei feststehende theaterpädagogische Aktionen weggebrochen (und die eine war ausnahmsweise sogar auf Honorarbasis). Als Tochter von Selbstständigen kommt da noch eine zusätzliche Sorge ins Spiel: Gibt es ein nächstes Jahr, wie wird die kommende Saison und was passiert mit den Kosten?

Die Rolling Stones, Lady Gaga, Billie Eilish, Elton John und viele weitere haben mit der WHO Soli-Konzerte im Livestream organisiert. Aber hätten Sie nicht auch eine Zugabe für Künstler und Künstlerinnen spielen können? Für Veranstalter und Veranstalterinnen und all die Personen, die ihren Job im Kulturbetrieb nicht mehr nachgehen können?


Die Suche nach dem Glück

Alternative Lösungen müssen her: Livestream.

Wir holen uns also die Kultur nach Hause. Bands transportieren ihre Konzerte aus den Proberäumen zu mir ins Wohnzimmer. Projekte wie live2home und FaustTV ermöglichen Künstlern und Künstlerinnen ihre Shows online zu zeigen. Im Livestream. Ohne Publikum. Wie fühlt sich das an?

Es ist anders. Ich habe keine Körper um mich herum, die sich bewegen, keinen Bass, keine Scherben unter den Füßen. Es fühlt sich nach Sehnsucht an und ist zugleich ein kleiner Trost. Ich vermisse dich Live-Konzert. Dein Bier schmeckt mir besser.

Und da ist die Unsicherheit nach der Kontaktsperre. Wer gebucht wird, kann nicht sofort spielen. Was ist mit all den verpassten Proben? Was ist, wenn es keine Rücklagen mehr gibt?

Und damit ich nicht in meiner Ohnmacht kleben bleibe, spende ich. Ich spende an die Clubs in meiner Stadt und kuschle mich in den Bandmerch. Trage Socken von den Planetoids, ein Shirt von der Glocke und den Jutebeutel von High Fidelity. Mein liebster Wandschmuck? Das Orange Blossom Special und die Tickets für Michael Kiwanaku. Wir sehen uns nach der Pandemie, haltet durch, bitte.


Was tun?

Ich will einen Teil der Verantwortung übernehmen. Ich will meinen Teil dafür tun und ich will, dass die Spenden, diejenigen erreichen, die es brauchen. Ich will es, weil ich weiß, dass ich es mir leisten kann – und ich weiß, dass viele, die von Kurzarbeiter- und Kurzarbeiterinnengeld oder Jobverlust betroffen sind, längst andere Sorgen haben und es nicht können. Ich spende, weil ich kann. Ich will solidarisch handeln – also spende ich.

Kultur ist systemrelevant!

Aber noch vielmehr will ich, dass die monetäre Benachteiligung des Kulturbetriebs nicht als individuelle Aufgabe gesehen wird. Ich will strukturelle Veränderung. Kein ‚Na dann müsst ihr halt schauen, wie ihr über die Runden kommt‘ oder ‚Hättest du mal was Richtiges gelernt.‘ Stattdessen: staatliche Förderung! Theater und Musik gab es schon immer. Das lassen wir uns nicht nehmen!


Was gibt es Neues?

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